Die Nachricht machte am Morgen des 24. Januar 2015 (natürlich) die Runde: Sigmar Gabriel, seines Zeichens SPD-Vorsitzender, Bundestagsabgeordneter und Bundeswirtschaftsminister, hatte sich am Abend zuvor nach Dresden begeben, um als Zuhörer an einer Gesprächsrunde zum Thema Pegida teilzunehmen, zu der die Sächsische Landeszentrale für politische Bildung eingeladen hatte.
Warum dieser in einer Demokratie an und für sich völlig normale bis sogar erforderliche Vorgang doch ziemlich umfangreiche und unterschiedliche Reaktionen auslöste ? Wohl deshalb, weil die Generalsekretärin der SPD, Yasmin Fahimi, kurz zuvor die Parole ausgegeben hatte: „Klare Kante: Keinerlei Anker für irgendeinen ernsthaften Dialog“. Wobei in ihren veröffentlichten Äußerungen durchaus nicht klar wurde, ob sie damit nur den Dialog mit den Pegida-Verantwortlichen/-Organisatoren meinte, oder nicht auch den Dialog mit Pegida-Anhängern. Während man ihre Äußerung nämlich einerseits eingeschränkt auf die Organsiatoren verstehen konnte, wurde sie gleichzeitig mit den Worten zitiert: „Wir reden hier über mündige Bürger. Wer mündig ist, trägt Verantwortung für seine Taten und dafür, wem er hinterherläuft. Deswegen möchte ich in keinen Dialog treten mit Leuten, die Stimmung schüren gegen Migranten, gegen Ausländer und gegen Andersdenkende.“
Erwartungsgemäß löste die Teilnahme Gabriels an der Dialogveranstaltung in Dresden deshalb insbesondere innerhalt der SPD kontroverse Reaktionen aus. Wenn man sich nur mal die Stellungnahmen der SPD-Bundestagsabgeordneten betrachtet, sieht das dann zum Beispiel so aus:
Sag ich doch: Klare Kante UND reden! Gabriel diskutiert mit Pegida-Anhängern in Dresden @ntvde http://t.co/HIBELoSiyu“
— Saskia Esken (@EskenSaskia) 24. Januar 2015
Dialog mit #Pegida ? Mit einigen Mitläufern und vermeintliche Sympathisanten Ja – mit Organisatoren und führenden Köpfen Nein! #nopegida — Soenke Rix MdB (@SoenkeRix) 24. Januar 2015
Ich sehe das wie Yasmin Fahimi: „Ich will keinen Dialog mit Leuten, die Stimmung gegen Migranten schüren“
— Niels Annen (@NielsAnnen) 24. Januar 2015
Alle diesbezüglichen Stellungnahmen der SPD-Bundestagsabgeordneten auf Twitter führen wir übrigens in einer ständig aktualisierten Sammlung.
Wie die SPD mit dem Thema Dialog mit Pegida: Ja oder Nein umgeht, muss sie natürlich in erster Linie selbst wissen. Über Eines muss man sich bei diesem Thema aber klar sein:
- Wie schon oben angedeutet, muss man sich als demokratische Partei schon fragen (lassen), ob es klug und nachvollziehbar ist, sich dem Dialog mit Andersdenkenden – möglichweise auch (oder gerade?) radikal Andersdenkenden – grundsätzlich zu entziehen.
- Die Ereignisse der vergangenen Wochen und Monate legen die Vermutung nahe, dass Pegida eben keine homogene Bewegung ist, sondern einerseits von wenigen führenden Köpfen und Organisationen gelenkt wird, die durchaus radikale, nationalistische oder sogar nationalsozialistische Züge tragen mögen, andererseits aber über eine zahlenmäßig nicht zu unterschätzende Gefolgschaft verfügt, die man nicht ohne Weiteres dem „rechten Spektrum“ zuordnen kann, sondern die aus unterschiedlichsten Motiven schlicht und einfach unzufrieden ist. Ein Element dieser Unzufriedenheit wird immer wieder deutlich: Die Leute fühlen sich nicht gehört, geschweige denn verstanden. Diese Leute mit einem Dialogverbot mehr oder weniger zu ächten, führt in kürzester Zeit zu Stigmatisierung, mit der Folge, dass man sie geradezu in die Fänge der Radikalen treiben kann. Ob das im Sinne des Erfinders ist, darf bezweifelt werden.
- Am Beispiel der AfD hat man es ja eigentlich schon vor Augen geführt bekommen: Ignorieren und Gesprächsverweigerung führt nicht zum Ziel. Im Gegenteil: Die AfD konnte bei den letzten Wahlen trotz auch seitens der CDU ausgerufenen Dialogverbots ständig zulegen.
Insofern lag Sigmar Gabriel mit seiner Entscheidung, an der Gesprächsveranstaltung in Dresden teilzunehmen, vielleicht gar nicht so falsch. Dass er das unter Gesichtspunkten der Parteiräson nachträglich als „privaten Besuch“ deklarierte, kann und darf nicht darüber hinweg täuschen, dass die SPD, wie alle anderen demokratischen Parteien auch, zu einer klaren Linie finden muss. „Klare Kante“, also die Haltung, die Yasmin Fahimi (und für die anderslautende Meinung auch die Bundestagsabgeordnete Sakia Esken, sh. oben) in diesem Zusammenhang gefordert hat, ist also tatsächlich gefragt. Fragt sich nur, welchen Inhalt die klare Kante haben sollte. Mit Sicherheit nicht geeignet ist dieses Thema für einen parteitaktischen Eiertanz, bei dem es in erster Linie darum geht, keine klare Haltung einzunehmen und dabei u.a. niemandem aus der eigenen Partei auf die Füße zu treten. Dass man eine Meinung hat und sie ggf. auch ändert, sollte man also deutlich machen und nicht zum Beispiel einfach ohne nähere Erläuterung binnen 3 Tagen völlig entgegengesetzte Statements absetzen.
Wir brauchen keinen Dialog mit #Pegida, aber mehr Dialog zu den Themen, die die Menschen betreffen — Lars Castellucci (@larscastellucci) 21. Januar 2015
Gut so! SPD-Chef Gabriel diskutiert mit Anhängern von Pegida http://t.co/vURIp3UiSH via @SPIEGELONLINE
— Lars Castellucci (@larscastellucci) 24. Januar 2015
Das führt zu Irritationen, und davon gibt es beim Thema Pegida und auch innerhalb der Pegida-Bewegung schon genug.