Man mag über das Betreuungsgeld, ein Baby der CSU, denken, was man will. Aber es wurde Gesetz, und es wurde durch die Große Koalition mehr oder weniger deutlich vertraglich abgesegnet. Und deshalb gibt es das Gesetz auch heute noch. Und deshalb wird über dieses Gesetz heute im Rahmen eines Normenkontrollverfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht verhandelt.
Das Gesetz wurde noch zu Zeiten der CDU/CSU/FDP-Koalition auf den Weg gebracht. Angestrengt wurde das Normenkontrollverfahren durch das Bundesland Hamburg.
Für die Normenkontrollklage war in Hamburg ein gewisser Ralf Kleindiek verantwortlich, der eine in der deutschen Politik nicht untypische Karriere hinter (und vor ?) sich hat: Nie in der ersten Reihe, irgendwie immer halb als Beamter und halb als Politiker unterwegs, auf verschiedenen Ebenen, aber immer irgendwie an den Schaltstellen der Macht. Studierter Jurist, 1999-2002 als solcher im Bundesjustizministerium, 2002-2009 Büroleiter bei der damaligen Bundesjustizministerin Brigitte Zypries, 2011-2014 Staatsrat in der Hamburger Behörde für Justiz und Gleichstellung, und … seit 2014 beamteter Staatssekretär im Bundesfamilienministerium unter Manuela Schwesig.
So weit, so gut. Eine wie gesagt nicht untypische deutsche Politkarriere, im Hintergrund die Fäden ziehen, parteitreu, versorgt, und möglicherweise (oder sicher ?) auch mit fachlicher Kompetenz ausgestattet.
Kraft dieser fachlichen Kompetenz war Ralf Kleindiek dann auch derjenige, der für das Bundesland Hamburg Anfang 2013 maßgeblich verantwortlich die Normenkontrollklage gegen das Betreuungsgeld-Gesetz auf den Weg brachte. Seinerzeit wurde seitens der Stadt Hamburg auch – geprägt von seiner Handschrift oder sogar von ihm verfasst – ausführlich öffentlich begründet, wieso dieses Normenkontrollverfahren angestrengt wurde, nachzulesen hier.
Dann kam ja bekanntermaßen die Bundestagswahl 2013 und Ende 2013 die Große Koalition zwischen CDU/CSU und SPD, dokumentiert im Koalitionsvertrag 2013. Und die Koalitionspartner mussten beid- und gegenseitig manche Kröte schlucken, z.B. Frauenquote und Mindestlohn die Einen, und eben z.B. Betreuungsgeld die Anderen, von der SPD.
Bedeutet unter normalen Umständen: Vertrag geschlossen, Macht und Verantwortung auf der Basis dieses Konaltionsvertrages übernommen, also im Sinne dieses Vertrages regieren …
… Unter normalen Umständen, wie gesagt, aber was ist in der Politik schon normal ?
„Normal“ scheint zu sein, dass eben jener Ralf Kleindiek, der Urheber der Normenkontrollklage gegen das Betreuungsgeld-Gesetz, heute die Vertretung der Bundesregierung – also doch wohl die Verteidigung des Gesetzes – im Verhandlungstermin vor dem Bundesverfassungsgericht übernimmt …
… Da gibt es eigentlich nicht mehr viel zu sagen, das löst im ersten Moment nur Sprachlosigkeit aus. Jeder Anwalt müsste sich in einem solchen Fall zumindest Interessenkollision, wenn nicht sogar Parteiverrat vorwerfen lassen. Im politischen Alltagsgeschäft ist das aber offenbar „normal“, akzeptabel, nicht zu bestanden, oder wie ?
In den letzten Tagen und Wochen gab es zahlreiche Stimmen in Politik, Verbänden und Medien, die sich über diese wenig sensible Vorgehensweise aufregten, aktuell zum Beispiel:
- The European: „Schwesig macht den Bock zum Gärtner“
- Süddeutsche Zeitung: „Kläger und Beklagter in Sachen Betreuungsgeld“
- Hamburger Abendblatt: „Erst gegen das Betreuungsgeld, jetzt dafür“
Diese letzte Schlagzeile lässt auf eine gewisse Naivität schließen: Natürlich ist Ralf Kleindiek mittlerweile nicht für das Betreuungsgeld. Er hat seine Überzeugungen mit Sicherheit nicht abgelegt, also wird er das angefochtene Gesetz beim Bundesverfassungsgericht bestenfalls „halblebig“ verteidigen, wenn überhaupt. Dabei kann er sich der Rückendeckung seiner Ministerin und seiner Partei sicher sein. Denn so sehr die SPD einerseits – Thema Frauenquote oder Mindestlohn – zu Recht die Einhaltung der Koalitionsvereinbarungen gefordert hat und fordert, so leicht ist sie umgekehrt bereit, Positionen aus der Koalitionsvereinbarung (auch öffentlich) in Frage zu stellen oder argumentativ zu torpedieren. Wer das nicht glaubt, muss nur mal die Äußerungen von Bundestagsabgeordneten der SPD zum Thema Betreuungsgeld nachlesen. Von überzeugter (Koalitions-)Vertragstreue ist dort wenig bis überhaupt nichts zu spüren. Und dass der Einsatz von Ralf Kleindiek vor dem Bundesverfassungsgericht irgendwie beanstandenswert wäre ? Ebenfalls Fehlanzeige.
Fazit (mal wieder): Es geht um Macht, um sonst gar nichts. Wenn die Politiker auf der anderen Seite nicht aufhören, Partei- und Politikverdrossenheit zu beklagen und z.B. für höhere Wahlbeteiligungen zu werben, kommt das vor dem Hintergrund der aktuellen Ereignisse wenig überzeugend rüber …
… halblebig eben.